Archiv des Autors: Andreas Kloos

Café Lillipippi (Nachbarschaft 12)

07.08. 2013

Henrik Lewis-Cord und Anneklara-Lea-Marie studieren jetzt im Ausland, Philipp controlled Montag bis Freitag bei Airbus, die Eltern chillen in einer Seniorenresidenz auf Phuket und Herr Tappert, der Familienhund, hat sich an einem Maispoulardenknochen verschluckt und musste letzte Woche eingeschläfert werden.
Nun kommt Heike: Frei von Existenzdruck und Verpflichtungen pfeift die Befreite jetzt auf ihr sinnloses Jura-Studium und eröffnet in der jüngst geräumten Schleckerfiliale endlich ihr eigenes Bio-Café.
Heike, die immer schon kreativ war, setzt neben dem üblichen Koffeein-Alkohol-Fett-Farbstoff-Zucker und tierfreien Angebot ganz bewusst auf Öko-Organic-Faretrade-Wellness-Hamburg.
Heikes selbst eingekochte Marmeladen, deren aluminiumfreie Deckel selbsgefilzte Tüchlein umspannen, sowie die von ihrer Freundin Manu selbstgeschriebenen Kinderbücher, deren chlorfrei gebleichte Deckel selbstgefiltzte Tüchlein umspannen, sind der Renner im selbstgebauten Regal neben der Registrierkasse, deren Deckel ein selbstgefilztes Tüchlein umspannt.
Zwischen Wickeltisch und Milch-Schoppen-Warmhaltestation habe ich einen Platz gefunden, blättere in meiner Men´s Health, rauche Reval ohne und bestelle Filterkaffee und einen doppelten Cognac.

Ciao.

05.08. 2013

Buon giorno, Cavaliere: chiudi il becco!

Mit Bühnenbildnerin Beatrice und Pferdehändler Michael im Theaterbüro, Außenstelle Knuth. Zwischen Cappuccino, Textbuch und Croissant drängt sich die Frage:
Glaubst DU noch an Gerechtigkeit?

Nucki Nuß (Nachbarschaft 11)

03.08. 2013

15.05 Uhr, Freibad Blankenese: Eintritt € 3,00 und Pommes Frites für Einssiebzig. Ist das noch Hamburg? Preise und Ausstattung wie in den 70ern, sagenhaft. Mitbadende lassen sich in jedem Freibad grundsätzlich in fünf Kategorien einteilen:

1.) Tätowierte Südländer, durchtrainiert, Raspelrübe, Haschisch, Arschbombe vom Dreier.
2.) Tätowierte Deutsche, Plauze, ausgeblichen, Klappstuhl, Dreiviertelhose, Kerze vom Einser.
3.) Tätowierte Rentner, Lederhaut, Badekappe, Bild, Kaffee, Köpper von Startblock.
4.) Tätowierte Familien im Schatten, LSF 50, Tupper, Wespenstiche, Hopser vom Beckenrand.
5.) Tattoofreie Sonderlinge, T-Shirt, Sandalen, klassische Badehose, Einstieg über die Badeleiter.

it had to be murder.

03.08. 2013

00.41 Uhr, immer noch 25 Grad und Rauschen vom Hafen. Im Unterhemd auf dem Balkon zum Hof. Musik und Nachbargemurmel aus dem Dunkel, ein Streit, dann schallgedämpftes Mündungsfeuer im Wohnzimmer gegenüber (spätes Fernsehflimmern), schließlich Polizeisirene! Hitchcock-Stimmung, fehlen nur noch Fernglas, Gipsbein und Grace Kelly.

Das große Schweigen.

02.08. 2013

Guten Morgen, Wurst-Uli Hoeneß!

Arbeit an „Michael Kohlhaas“. Lektüre meiner Dramaturgin liegt auf dem Tisch, unter anderem ein Interview mit dem Jugendforscher Klaus Hurrelmann aus dem Fluter Nr. 40/2010 – Thema Protest: Diese Generation kommt ja aus dem Keller des politischen Interesses. So einen Tiefpunkt wie 2002 hat es noch nie gegeben, nicht nur in Deutschland. Seitdem klettern die Werte aber wieder. Vor acht Jahren war nur ein Drittel der Jugendlichen politisch interessiert, heute sind es schon wieder 40 Prozent. Es geht um das Thema Gerechtigkeit. Da haben viele das Gefühl, dass das in den Parteien kein Thema mehr ist, und wenden sich anderen Organisationen zu.

Sonnenkobolde

01.08. 2013

Bastelschlümpfe, Kicherwichtel, Singemäuse, Wurzelzwerge, Ringelsocken, Knollenknirpse, Tausendfuß, Traumzauberbaum.
Schön, dass ab heute ein Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz für die Kleinen besteht. Aber wer denkt sich nur immer die sensationell bescheuerten Namen aus?

Feuerwehr. vigili del fuoco. Stüdafüch.

30.07. 2013

Dolomiti

Zurück in Hamburg. Die hohen Gipfel rufen: „Kommt zurück, ihr Idioten!“. Der Kalkstein hat recht, aber es nützt ja nichts; Arbeit wartet. Zudem kann nicht jeder Bergführer, Holzschnitzer, Hüttenwirt oder Knopfakkordeonist sein.

Kurze Ferien-Rückschau: Die Dolomiten und Alta Badia empfangen uns mit einem Schock: Die gebuchte Ferienwohnung liegt direkt an der von Motorradrockern (Zahnärzte im Ruhestand) und 60-Tonnern rund um die Uhr befahrenen Hauptverkehrsstraße. Hansi Hinternagler, der Vermieter, verweist keck auf die dreifachverglasten Scheiben und auf die Tatsache, dass wir den Lärm doch von der Stadt gewöhnt sein müssten. Nichts wie weg! Der naturburschikose Wirt legt unsere zweihundert Euro Anzahlung in den Küchenschrank und ist beleidigt. Eine Ortschaft weiter öffnet sich das Tal, auch findet sich eine ruhig gelegene, alpenkitschfreie Unterkunft mit Blick auf die Berge und Bimmelkirchlein ums Eck. Die Dörfler sprechen Ladinisch (Feuerwehr = Stüdafüch), der Cappuccino schmeckt hier tausendmal besser und die zivilisationsflüchtigen Wanderer liegen am dritten Tag mit Sonnenstich und zerschundenen Füßen fiebermatt im abgedunkelten Appartement. Immer erstmal übertreiben. Dann finden wir endlich Ruhe, Maß und Murmeltier.

Zuhause.

29.07. 2013

Zu viel Events. Zu viel Szene. Zu viel Avantgarde. Zu viel Kreative. Zu viel Shopping. Zu viel Starbucks. Zu viel Bio. Zu viel Konsum. Zu viel Junggebliebene. Zu viel Geländewagen. Zu viel Asphalt. Zu viel Worte. Zu viel Schweigen. Zu viel Baustelle. Zu viel Beton. Zu viel Glas. Zu viel Milchkaffee. Zu viel Pfefferminztee. Zu viel Bewusste. Zu viel Ideen. Zu viel Musik. Zu viel Energie. Zu viel Geld. Zu viel Dekoration. Zu viel Tradition. Zu viel Schirmmützen. Zu viel Vollbart. Zu viel Banken. Zu viel Backshops. Zu viel Unterhaltung. Zu viel Lärm. Zu viel Reichtum. Zu viel Armut. Zu viel Geschwindigkeit. Zu viel Retro. Zu viel Hundekot. Zu viel Politik. Zu viel Farbe. Zu viel Lobbyismus. Zu viel Müll. Zu viel Nachbarn. Zu viel Anfragen. Zu viel Möglichkeiten. Zu viel Auswahl. Zu viel Mode. Zu viel Luxus. Zu viel Werbung. Zu viel Konkurrenz. Zu viel Erfolg. Zu viel Niederlagen. Zu viel Schanze. Zu viel Junggesellenabschiede. Zu viel Nachrichten. Zu viel Neues. Zu viel Abgase. Zu viel Beleuchtung. Zu viel Comedy. Zu viel Medien. Zu viel Springer. Zu viel Sanierung. Zu viel Miete. Zu viel Makler. Zu viel Courtage. Zu viel Verdrängung. Zu viel Marke. Zu viel Metropole. Zu viel Widerspruch.

Huuu.

26.07. 2013

Franz Kafka war der Meinung, in den Wäldern sind Dinge, über die nachzudenken man jahrelang im Moos liegen könnte.
Es ist schon eine Leistung wenn es gelingt, sich auch nur ein paar Stunden diesen Dingen und Gedanken hinzugeben.

Lost

19.07. 2013

Der kleine Andreas möchte an der Information abgeholt werden. Seit drei Stunden niemanden mehr gesehen. Komplett allein in der Walachei stellt sich leichtes Muffensausen ein. Karten konnte ich noch nie lesen und die Verantwortung für mein Leben und das Auffinden der rechten Pfade habe ich vor Jahren dankbar einer elenden Navigations-App übergeben. Die Waldgeister lachen höhnisch: Hier gibt es kein Netz, Hosenscheißer. Langsam wird es dunkel. Wölfe heulen. Schliesslich stoße ich bei einer Gruppe Tannen auf ein einsames, lebkuchengedecktes Häuschen. Ich trete ein und mein Smartphone verbindet sich mit dem offenen WLAN „Blutwurst“. Ich öffne erleichtert Google Maps und siehe da: Ums Eck ist eine Bushaltestelle. Gerettet.