Falling Down

22.05. 2013

psst!

05.26 Uhr, S1. Ab Reeperbahn steigt Kiezfeierlandjugend zu. Ein blasses Mädchen übergibt ihren Wurstsalat vom Vorabend dem Aschenbecher, spült mit Wodka nach und würgt erneut. Mein leerer Magen zuckt. (Ich reiße dem Girlie die Flasche aus den Nagelstudiokrallen und nehme einen kräftigen Schluck.)

06.05 Uhr, ICE (1). Reservierung im Psst Ruhebereich. Heute ausnahmsweise keine Handyneurotiker, dafür ein lautstarkes Businessmeeting. Chef, Sekretärin und ein Abteilungsleiter erarbeiten Gasrücknahmestrategien. Bald sind auch andere Fahrgäste auf hundertachtzig: (Wir rollen unsere Zeitungen zu Knüppeln und prügeln die Nervensägen aus dem Abteil.)

11.49 Uhr. Ohne Ticket am Bummelbahnhof des Todes. Tumbling Tumbleweed, nur ein (1!) Fahrkartenautomat, davor eine Viermeterschlange Begriffsstutziger. Heute werden hier anscheinend unfassbar komplizierte Fernreisen gebucht oder Auskünfte für einen Ponyausritt mit barrierefreiem Umsteigen in Künaz an der Knatter erbeten. (Ich verpasse meinen Zug und zünde rachsüchtig in der Unterführung einen Papierkorb an.)

12.05 Uhr. Achtung, eine wichtige Durchsage für Reisende nach Krrrzzz. Der ICE von Krrrzzz nach Krrrzzz fährt heute um Krrrzzz in umgekehrter Wagenreihung von Bahnsteig Krrrzzz.

16.52 Uhr. ICE (2). Wegen Krrrzzz keine Reservierung im Psst Ruhebereich möglich. Die Reservierungsanzeige ist ohnehin ausgefallen, die Mitgeplagten und ich spielen die ersten 20 Minuten Reise nach Jerusalem. Der fozziebärstimmige Zugchef knödelt eine Entschuldigung, wiederholt auf Stolperenglisch und offeriert dann gutgelaunt thermosbitteren Herzklappenmokka und zwiebellastige  Mettstullen. (Ich folge dem Ruf ins Bordbistro, verlange aber von Fozziebär das angebotene Gedeck persönlich vorzukosten und weide mich an seinem Sodbrennen.)

18.38 Uhr. ICE (3). 45 Minuten Verspätung. Mein reservierter Psst Ruhebereich befindet sich in einem liegen gebliebenen Zugteil und ich klemme mich im überfüllten Restzug vor der defekten Bordtoilette auf das Teppichfleckenrätsel. Gereizte Stimmung, der zusammengepferchte Mob spitzt die Mistgabeln und entzündet Fackeln. Das Zugpersonal hat sich im Dienstraum eingeschlossen, verzichtet hasenfüssig auf die Fahrkartenkontrolle (und ich upgrade kostenlos in die erste Klasse, schlitze mit meiner Machete einen Sitz auf und trinke den restlichen Wodka.)

20.36 Uhr. ICE (4). Bingo! Der erste Klimaanlagenausfall der neuen Saison löst pünktlich die vereisten Oberleitungen und zugefrorenen Türen ab. Reservierung im Psst Ruhebereich. Hier dann endlich die Handyneurotiker, Fußballirren und Prosecco-Lerchen. Eine Frau spielt Fruit-Ninja ohne Kopfhörer, Oma liest laut vor, Tastaturanschlagstrommelfeuer, SMS-Terror, Klingelton-Elend. (Ich nehme den Schaffner in Geiselhaft, erzwinge eine Notbremsung auf freier Strecke und verlange einen klimatisierten, vollgetankten Hubschrauber.)