Archiv des Autors: Andreas Kloos

Gestrandet (Nachbarschaft 5)

06.05. 2013

Hugo, Häppchen und Hipster statt Pils, Pommes und Punks: Lange hat sie sich gewehrt, nun streckt die „Strandperle“ nicht nur die kulinarischen Waffen. Szenevolk macht sich breit. Verputzt Berglinsen-Curry-Schlabber und trägt den verdammten Handtaschenköter spazieren. Unser geliebter Strandkiosk gerät immer mehr in die Hände derer, denen man dort bisher mangels kulinarischem Firlefanz und Beachclub-Bacardi-Feeling aus dem Weg gehen konnte. Bereits auf der Elbchaussee künden lange Cabriolet- und Mini-Parkschlangen vom Stelldichein der Elbvorort-Fabrikantensöhnchen. Fünf-Euro-Scheine auf dem Trinkgeldteller der Klofrau. Schicke Sonnendächer an Teakholz-Segelmasten. Demnächst noch halbstündlich Börsenkurse aus dem Lautsprecher. Nichts wie weg.

Schokolade, Vanille, Nuss

03.05. 2013

„Schlafsaal der Liebeskranken“: Der italienische Eisverkäufer schließt den Laden, stellt die Stühle auf die Tische und betet die Eiskarte hoch und runter. So wird das nie was mit den Frauen.

Albert Bouley

26.04. 2013

Albert Bouley, Koch des Jahres 1990 bei Gault-Millau, ist gestorben. In den späten 80ern habe ich eine Kochlehre bei ihm absolviert. Mit Köchen ist es wie mit Chirurgen oder Theatergypsies; man muss dafür gemacht sein. Nach vier Jahren habe ich gemerkt: Ich bin kein Koch. Dennoch habe ich viel von meinem Maitre gelernt. Auch das Köche nicht unbedingt übergewichtige Handwerker sein müssen. Gute Köche sind nicht dick. Albert trug unter seiner seidenen Kochjacke Hemd und Krawatte und war auch sonst ein Ästhet. Chardonnay statt Bier, leise Stimme statt Gebrüll. Mein Patron war sensibel, ein Kochkünstler. In anderen Küchen fliegen die Pfannen und der Stift wird bei Bedarf noch geohrfeigt. Die fröhlichen Fernsehköche vermitteln gelegentlich ein leicht verzerrtes Bild dieser Berufsgruppe. In Monsieur Bouleys Restaurantküche herrschte bei allem Stress und knüppelharter Arbeit ein guter, kreativer Geist. Wir haben viel mit ihm gelacht, aber am meisten mochte ich seinen nachdenklichen, melancholischen Zug. Adieu, Albert.

Albert

Gunny

25.04. 2013

10.35 Uhr, Altonaer Bahnhof. Eine Gruppe Kindergartenkinder marschiert im Gleichschritt durch die Unterführung. Ein fünfjähriger Drill Sergeant ruft: „Wer hat die besten Preise?“ Der Rest der Windel-Marines im Chor: „Mediamarkt! Mediamarkt!“. Die Erzieherin im letzten Glied klatscht im Rhythmus und singt mit. Ein Wahnsinn.

Rainman

23.04. 2013

Zurück aus dem Süden, die Regenwolken mitgenommen. Niederschlagsverfolgt. Gegen Medizin gebe ich das unselige Talent gerne an einen staubgeplagten Sioux-Stamm ab.

John Steinbeck

21.04. 2013

Am Bahnsteig HB getroffen. Über zehn Jahre nicht gesehen. Zufällig haben wir dasselbe Reiseziel und besteigen den ICE. HB ist Ärztin in Ruhestand, Kultur- und unerschütterliche Menschenfreundin. Unaufdringlich verwickelt sie sämtliche Mitreisende im Umfeld von sechs Quadratmetern in faszinierende Gespräche, lobt den Schaffner für seine schöne Sprache, lacht mit dem Kaffeekellner, verbreitet gute Laune und verteilt Visitenkarten auf deren Rückseite sie mit Kuli Lebensklugheiten schreibt. Kontakte sind ihre Spezialität. HB stellt mich wildfremden Sitznachbarn vor und empfiehlt mich Wagen Nummer 11 als Regisseur. Falls der Unternehmensberater rechts von mir mal einen brauchen sollte. Ich stecke die Visitenkarte von Eric ein, alle lachen. Keine Ahnung wie sie das macht, aber HB infiziert mindestens das halbe Abteil mit Offenheit, Freundlichkeit und Optimismus. Auf der Rückseite meiner Karte zitiert sie John Steinbeck: „Vielleicht verdirbt Geld den Charakter. Auf keinen Fall aber macht Mangel an Geld ihn besser.“ Die Frau kennt sich auch am Theater aus.

Camel

20.04. 2013

Kurzbesuch in der Heimat. Abends mit T in der Dorfbar, welche 1985 mal Café Kanapee hieß und mir das Rauchen beigebracht hat. Wie auf Bestellung (oder immer noch?) spielt der Wirt den Soundtrack der Jugend ab, der ganze Laden quarzt wie die Hölle und ich passiv wieder mit. Ausgelassene Stimmung. Fehlt nur noch dass wir Colaweizen bestellen und der ebenfalls nicht mehr taufrischen Schulkollegin am Tisch nebenan einen Baileys on the Rocks spendieren.

XXL-Griller

18.04. 2013

Der XXL-Griller hat die Flaggen gewaschen und gehisst, die frühen Schnecken vergiftet und die Heimzapfanlage aufgebaut. Auch die ersten Wühlmäuse sind schon erschossen.
Die Dotschlander brozzeln auf dem Wurstmaxxer. Tattoonya pellt mit der einen Hand Salatmix für den Salatmix aus der Tüte, an der anderen trocknet der schwarz-rot-goldne Lack. Auch die Jugend macht sich nützlich; Sündy fesselt den Pitbull an den Jägerzaun und Bratze befreit das Tier mit dem Kärcher von lästigen Winterfellresten. Die Frühblüher lugen durch den Stacheldraht und der knotige Braunwurz treibt aus. Der Oberparzellenwart schaut nach den Rechten, lässt dann den Feldstecher sinken und winkt vom Ausguck. Gleich kommen die Nachbarn aus Parzelle 1933 zum Angrillen. Der Frühling ist da.

Achthundertacht Kilometer

18.04. 2013

Morgen um 04.26 Uhr Abfahrt. Ab in den Süden. Ausgedehnte Zugreise im Ruhebereich. Mobilfunk-, Email- SMS-Pause. Offline. Schweigeseminar.
Programm:
04.26 – 06.30 Uhr Zeitung + 2 x Kaffee + Croissants.
06.30 – 11.00 Uhr Jim-Jarmusch-Arthaus-Collection Vol.1 
11.00 – 12.00 Uhr Einsame Erfrischungen im Bordrestaurant
12.00 – 13.27 Uhr Landschaftsstudien + iPod-Playlist „Glenn Gould“  + Heimatgefühle