Archiv des Autors: Andreas Kloos

Unsterblich

31.05. 2013

“Schlafsaal der Liebeskranken”, Shakespeare Sonett 18.

William goes Pink Floyd: Vertonung von David Gilmour.

Shall I compare thee to a summer’s day?
Thou art more lovely and more temperate:
Rough winds do shake the darling buds of May,
And summer’s lease hath all too short a date:
Sometime too hot the eye of heaven shines,
And often is his gold complexion dimm’d;
And every fair from fair sometime declines,
By chance or nature’s changing course untrimm’d;
But thy eternal summer shall not fade
Nor lose possession of that fair thou owest;
Nor shall Death brag thou wander’st in his shade,
When in eternal lines to time thou growest:
So long as men can breathe or eyes can see,
So long lives this and this gives life to thee.

Der Mieter

27.05. 2013

Polanski

Roman Polanski: „Der Mieter“

Auf der Suche nach Wohnmöglichkeiten für die kommende Spielzeit. Zwei Wohnungen sind bereits gebucht, eine dritte muss noch gefunden werden. Unglaublich, was zum Teil angeboten wird. Sperrmüllmöbel, muffige Betten, Dekowahnsinn. Die Wände kommen langsam näher, die Butze wird im Lauf der Wochen immer kleiner und die Toilette auf dem Flur ist in Wahrheit ein riesiger Turm, dessen Wände mit ägyptischen Schriftzeichen bemalt sind.

l/m2

24.05. 2013

Die Regenpause ausgenutzt und die Pfützen durchschwommen. Allgemeines Dauer- und Stimmungstief, Niederschlag und Niedergeschlagenheit. Die langen Sommer der Kindheit? Vielleicht kommen sie zu uns zurück, wenn wir alle wieder kurze Lederhosen tragen. Und Sandalen mit Klettverschluss, die Pfotenabdrücke in Staub und Sand hinterlassen!

Familienstück

23.05. 2013

Bauprobe „Urmel aus dem Eis“ am Theater Bielefeld: Alle Fragen geklärt, Abteilungen vorbereitet, Sichtlinien überprüft, die Feuerwehr beruhigt: Das Tier kann kein Feuer spucken.   Am 24. September ist Probenbeginn!

Falling Down

22.05. 2013

psst!

05.26 Uhr, S1. Ab Reeperbahn steigt Kiezfeierlandjugend zu. Ein blasses Mädchen übergibt ihren Wurstsalat vom Vorabend dem Aschenbecher, spült mit Wodka nach und würgt erneut. Mein leerer Magen zuckt. (Ich reiße dem Girlie die Flasche aus den Nagelstudiokrallen und nehme einen kräftigen Schluck.)

06.05 Uhr, ICE (1). Reservierung im Psst Ruhebereich. Heute ausnahmsweise keine Handyneurotiker, dafür ein lautstarkes Businessmeeting. Chef, Sekretärin und ein Abteilungsleiter erarbeiten Gasrücknahmestrategien. Bald sind auch andere Fahrgäste auf hundertachtzig: (Wir rollen unsere Zeitungen zu Knüppeln und prügeln die Nervensägen aus dem Abteil.)

11.49 Uhr. Ohne Ticket am Bummelbahnhof des Todes. Tumbling Tumbleweed, nur ein (1!) Fahrkartenautomat, davor eine Viermeterschlange Begriffsstutziger. Heute werden hier anscheinend unfassbar komplizierte Fernreisen gebucht oder Auskünfte für einen Ponyausritt mit barrierefreiem Umsteigen in Künaz an der Knatter erbeten. (Ich verpasse meinen Zug und zünde rachsüchtig in der Unterführung einen Papierkorb an.)

12.05 Uhr. Achtung, eine wichtige Durchsage für Reisende nach Krrrzzz. Der ICE von Krrrzzz nach Krrrzzz fährt heute um Krrrzzz in umgekehrter Wagenreihung von Bahnsteig Krrrzzz.

16.52 Uhr. ICE (2). Wegen Krrrzzz keine Reservierung im Psst Ruhebereich möglich. Die Reservierungsanzeige ist ohnehin ausgefallen, die Mitgeplagten und ich spielen die ersten 20 Minuten Reise nach Jerusalem. Der fozziebärstimmige Zugchef knödelt eine Entschuldigung, wiederholt auf Stolperenglisch und offeriert dann gutgelaunt thermosbitteren Herzklappenmokka und zwiebellastige  Mettstullen. (Ich folge dem Ruf ins Bordbistro, verlange aber von Fozziebär das angebotene Gedeck persönlich vorzukosten und weide mich an seinem Sodbrennen.)

18.38 Uhr. ICE (3). 45 Minuten Verspätung. Mein reservierter Psst Ruhebereich befindet sich in einem liegen gebliebenen Zugteil und ich klemme mich im überfüllten Restzug vor der defekten Bordtoilette auf das Teppichfleckenrätsel. Gereizte Stimmung, der zusammengepferchte Mob spitzt die Mistgabeln und entzündet Fackeln. Das Zugpersonal hat sich im Dienstraum eingeschlossen, verzichtet hasenfüssig auf die Fahrkartenkontrolle (und ich upgrade kostenlos in die erste Klasse, schlitze mit meiner Machete einen Sitz auf und trinke den restlichen Wodka.)

20.36 Uhr. ICE (4). Bingo! Der erste Klimaanlagenausfall der neuen Saison löst pünktlich die vereisten Oberleitungen und zugefrorenen Türen ab. Reservierung im Psst Ruhebereich. Hier dann endlich die Handyneurotiker, Fußballirren und Prosecco-Lerchen. Eine Frau spielt Fruit-Ninja ohne Kopfhörer, Oma liest laut vor, Tastaturanschlagstrommelfeuer, SMS-Terror, Klingelton-Elend. (Ich nehme den Schaffner in Geiselhaft, erzwinge eine Notbremsung auf freier Strecke und verlange einen klimatisierten, vollgetankten Hubschrauber.)

Vergessen, vergessen, vergessen

21.05. 2012

„Schlafsaal der Liebeskranken“, Shakespeare Sonett 147.

Verblichene Fotos aufhängen, den Soundtrack der Liebe hören, den gemeinsamen Hund bekochen, auf dem Dach sitzen, den Mond anbellen:

Ich liebe wie im Fieber, wild auf das,
Was meine Leiden in die Länge zieht,
Freß, was das Übel nährt, still ohne Maß
Den wechselhaften, kranken Appetit.
Der Arzt für meine Liebe, der Verstand,
Empört, dass ich nicht hör auf sein Gebot,
Hat mich verlassen. Oh, ich hab erkannt:
Begehren, dass die Heilung scheut, ist Tod.
Unbelehrbar bin ich, nicht bei Troste, irr,
Rasender Wahnsinn reißt mich mit sich fort.
Mein Denken Tollheit und mein Reden wirr,
Ich red nur krauses Zeug, kein wahres Wort.
Ich schwor dich schön, hab dich mir licht gedacht,
Doch du bist höllenschwarze, finstre Nacht.

Tierlogopädie

17.05. 2013

Modellpräsentation mit Okarina Peters und Timo Dentler am Theater Bielefeld für das  Familienstück „Urmel aus dem Eis“. Tiere mit Sprechfehler und ein See-Elefant mit Burnout.
Lars Ehrhard und Johann Weiß machen Mucke!

Der Magier (Nachbarschaft 6)

15.05. 2013

H. ist der Apotheker meines Vertrauens und meiner Fluchtträume in ein unaufgeregtes, durchschaubares Leben. Die Apotheke riecht nach Apotheke und H. dezent nach schlichter Handseife zu der er ein blütenweißes, hinten zuknöpfbares Apothekermäntelchen trägt. Die Zeit in seinem Laden vergeht langsam: H., im Beruf behutsam gealtert, bewegt sich im Schneckentempo synchron zum Minutenzeiger der sekundenlosen Kienzle-Automatic-Wanduhr. Man muss viel Zeit anlegen, aber die Arzneidrogen die hier gekauft werden wirken besser. Allein der Aufenthalt im Seelenknusperhäuschen wirkt antiseptisch, senkt den Blutdruck und beruhigt die Nerven. Ich bin sicher: H. stösselt die Zutaten seiner Salben und Mixturen linksdrehend in den uralten Mörsern seiner heilpflanzenkundigen Vorfahren und hört dabei Chopin Klavieretüden. Neben der mechanischen Seca-Personenwaage am Eingang lädt ein klassischer Ledersessel zu weiterem Verweil ein. Vielleicht lutsche ich noch ein Pfefferminzdrops, blättere in der Rentnerbravo und beobachte heimlich den etwas bucklig gewordenen H., wie er seine Stahlgestellbrille auf die Nasenspitze schiebt, mit Bleistift Karteikarten beschriftet und in sein Rolodex einpflegt.

Seniorenhiking

13.05. 2013

Textile Revolution! Die Generation 70+ hat sich das Rentnerbeige vom Leib gerissen, die Jack-Wolfskin-Läden entdeckt und streift neuerdings in farbenfrischer Uniform neongrün, gallengelb und sittichblau durch die Heide.
Dank der schmerzbunten, atmungsaktiven, multifunktionalen Outdoor-Pelle sind jetzt auch die sengenden Wüsten Helgolands und die eisigen Höhen Lüneburgs bezwingbar geworden. Rein in die farbenfrohe Wolfshaut! Raus ins wilde Gartencafé!

4. Kapitel, Seite 1.752

08.05. 2013

Stecker raus. Strom und Nerven sparen: Kein Computer, kein Fernsehen, kein Telefon, keine Zeitung, keine Nachrichten. Vielleicht rotzfrech die Klingel abstellen und sich digital tot stellen. Schweigegelübde light. Mal sehen, was kommt. Vielleicht lässt der elende Smartphone-Kontrollzwang nach. Vielleicht erzählen die Romanautoren zur Belohnung dann endlich wieder ein paar längere Geschichten.