Archiv der Kategorie: Randnotizen

Ich. Ich. Ich. Ich.

02.01. 2014

19.32 Uhr: Mit M. im Restaurant. Zwanzig glückliche Gäste in ruhiger, entspannter Atmosphäre. Leise klappert das Geschirr, in den Gläsern glucksen Getränke, gelegentlich raschelt eine Serviette, im Kamin knackt ein Scheit, im Gebüsch vorm Fenster hustet leise eine Feldmaus.

20.05 Uhr: Ein Fachmann für Alles reißt mit seiner Entourage den Vierer in der Saalmitte an sich, legt den Porsche-Cayenne-Schlüssel auf die Mitteldecke und lässt sich als erstes vom Servierfräulein die komplette Weinkarte (liegt in Druckform auf dem Tisch) aufsagen. Fragt nach Details. Ergänzt oder korrigiert. Selbstverständlich kennt das Großmaul das Anbaugebiet der teuersten Buddel – der Südbalkon seines verdammten Ferienhauses erlaubt einen Blick auf eben diesen Weinberg. Er bestellt die Pulle und erzählt dazu gleich eine Geschichte. Es folgen quälend viele weitere banale Prahlereien, Gebrauchsanleitungen und Geldanlagetipps in einer Lautstärke, vor der keiner sicher ist. Das ist das Schlimmste: Die größten Nervensägen haben immer das dazu passende Organ.

Soll & Haben.

31.12. 2013

Pardauz. Am letzten Tag des Jahres vom Rad gestürzt, alle Asphaltkontaktpunkte auf der rechten Seite synchron abgeschürft. Klasse Timing: Die Verbrennungen (Zweiten Grades) auf der linken Seite sind eben abgeheilt. 2013 war ein glückliches Jahr, aber zum Schluss muss das Konto noch ausgeglichen werden.

Stars.

30.12. 2013

Unterwegs im Elektronikmarkt mit den großen Buchstaben und der großen, dummen Schnauze. CD-Abteilung. L. hat Geburtstag und mag deutschen Hip-Hop, vielleicht auch Jan Delay? Der Künstler bleibt in den Regalen unauffindbar. Schliesslich gelingt es, einen der gelernten Reifen- und Auspufffachhändler einzufangen und zu befragen. Die Bassgitarristensolokarriere des pickligen Bürschchens ist noch nicht so recht in Schwung gekommen aber autorisiert ihn, während er sich im Keith-Richards-Schlurfgang durch die Gänge schleppt, zu folgendem Originalstatement: „Jan Delay ist Kommerz-Scheiße von vorgestern, das kauft heute kein Mensch mehr. Deswegen steht der Dreck ganz hinten im Eck“.

Intermediate.

27.12. 2013

05.55 Uhr, der ansonsten immer überfüllte Zug ist menschenleer, die Bahnhofsuhr am Hauptbahnhof geht eine Stunde vor und die Brezeln sind jetzt schon altbacken. Alles schläft, hinkt und hängt noch am alten Jahr.

Erwartungen.

23.12. 2013

Ewig offene Wunde Weihnachten. Es wird nie wieder so, wie es mit 5 war. Für Erwachsene gilt: Wer weniger (Geld, Energie, Dekoration) reinsteckt, kriegt mehr raus. Vielleicht ein paar ruhige Stunden mit den Lieben. Vielleicht ein Waldspaziergang. Vielleicht ein Karpfen in Lebkuchen.

Reise nach Jerusalem.

13.12. 2013

„Ich kann das doch nicht alles alleine aufessen.“ Wer jetzt keine gute Ausrede parat hat, zieht den dicken schwarzen Peter und muss Plätzchen in Tupper mit Nachhause nehmen. Spätestens ab Dezember steckt das Land kreativ im Teig, doch selber knabbern will die industriezuckerlastigen Massen am Ende keiner.

Dieses Licht.

09.12. 2013

05:13 Uhr: S-Bahnhof Bahrenfeld. Ein Mann (gutaussehend). Sein Reisekoffer. Seine Tasche. Röntgenblick in die Tasche: Ein Laptop (ohne Backup), Schlüsselbunde für zwei Wohnungen, ein Geldbeutel mit diversen Kredit- und EC-Karten, dreihundert Euro in bar, zwei Regiebücher, eine Liste mit Bank-PIN-Nummern, eine Lesebrille, zwei Romane, ein Führerschein, Ausweispapiere, zwei Zugtickets, ein Smartphone, ein belegtes Brötchen, ein halbes Leben.

05:16 Uhr: Die S-Bahn kommt, der Mann steigt ein. Den Koffer nimmt er mit. Die Tasche mit dem belegten Brötchen, dem halben Leben und dem Rest lässt er am Bahnsteig im Regen stehen. Der Zug fährt ab.

05:26 Uhr (und vier Haltestellen später): Der Blitz der Erkenntnis schlägt grausam ein, der Mann verliert schlagartig fünfhundert Haare, klammert sich an einen Strohhalm und nimmt, gurgelnde Laute ausstossend und am ganzen Körper konvulsivisch zuckend, fünf bittere Minuten später die nächste S-Bahn zurück. Die Mitreisenden starren ihn aus müden Augen unverhohlen an.

05:38 Uhr: Noch eine Haltestelle. Die Zeit vergeht unfassbar langsam. Der Mann hat sich dem Schicksal eigentlich schon ergeben und sämtliche Nägel bis auf die Knochen abgenagt. Die restlichen Haare sind ergraut.

05:41 Uhr: Ankunft S-Bahnhof Bahrenfeld. Menschenmassen am Gleis. Dazwischen, mitten im Gewusel, halb angelehnt an einen Abfallkorb, grell in helles Licht getaucht und zwei Zentimeter über dem Asphalt frei schwebend: Eine Umhängetasche. Röntgenblick in die Tasche: Nichts fehlt.

Besinnungslos.

07.12. 2013

Mittelalter-Weihnachtsmärkte mit lustigen Gauklern („Holla Junker! Ein Becherlein vom feinen Met kostet Euch nur einen Falt-Taler mit Pfand“) machen alles noch schlimmer, setzen dem Wahnsinn die blinkende Zipfelmütze auf und bringen das kollektiv vermisste Weihnachtsgefühl erst recht nicht zurück. Wer ohne Glühfuchs partout nicht in Stimmung kommen kann, besinnt und betrinkt sich am festlichsten aus einer Thermoskanne zu selbstgeflöteten Advent-Evergreens unter der Tanne im Garten.

Nachhall.

06.12. 2013

K. berichtet von einem Mann, der gestern in der Fußgängerzone stand und „Tausche Verstand gegen Gefühl!“ rief. Was für ein Satz. Was für ein Notstand.

Adventskalender.

01.12. 2013

Quietsch. Das erste Türchen geht auf und heraus kommt das lustige Trendsetter Hirschgeweih für € 2,99. Flugs auf die flache Stirn getackert und auf geht’s zum Indoor-Hüttengaudi-Weihnachtsmarkt bei Media Markt: Da gibt es heute Mario Barth live, Weihnachtsmannboxenluder in Strapsen, Capri Sonne Adventspunsch mit Schuss und „Blutiger Advent 2“ auf DVD und Blue Ray im Sonderangebot.

Geweihnachten