09.12. 2013
05:13 Uhr: S-Bahnhof Bahrenfeld. Ein Mann (gutaussehend). Sein Reisekoffer. Seine Tasche. Röntgenblick in die Tasche: Ein Laptop (ohne Backup), Schlüsselbunde für zwei Wohnungen, ein Geldbeutel mit diversen Kredit- und EC-Karten, dreihundert Euro in bar, zwei Regiebücher, eine Liste mit Bank-PIN-Nummern, eine Lesebrille, zwei Romane, ein Führerschein, Ausweispapiere, zwei Zugtickets, ein Smartphone, ein belegtes Brötchen, ein halbes Leben.
05:16 Uhr: Die S-Bahn kommt, der Mann steigt ein. Den Koffer nimmt er mit. Die Tasche mit dem belegten Brötchen, dem halben Leben und dem Rest lässt er am Bahnsteig im Regen stehen. Der Zug fährt ab.
05:26 Uhr (und vier Haltestellen später): Der Blitz der Erkenntnis schlägt grausam ein, der Mann verliert schlagartig fünfhundert Haare, klammert sich an einen Strohhalm und nimmt, gurgelnde Laute ausstossend und am ganzen Körper konvulsivisch zuckend, fünf bittere Minuten später die nächste S-Bahn zurück. Die Mitreisenden starren ihn aus müden Augen unverhohlen an.
05:38 Uhr: Noch eine Haltestelle. Die Zeit vergeht unfassbar langsam. Der Mann hat sich dem Schicksal eigentlich schon ergeben und sämtliche Nägel bis auf die Knochen abgenagt. Die restlichen Haare sind ergraut.
05:41 Uhr: Ankunft S-Bahnhof Bahrenfeld. Menschenmassen am Gleis. Dazwischen, mitten im Gewusel, halb angelehnt an einen Abfallkorb, grell in helles Licht getaucht und zwei Zentimeter über dem Asphalt frei schwebend: Eine Umhängetasche. Röntgenblick in die Tasche: Nichts fehlt.