15.05. 2013
H. ist der Apotheker meines Vertrauens und meiner Fluchtträume in ein unaufgeregtes, durchschaubares Leben. Die Apotheke riecht nach Apotheke und H. dezent nach schlichter Handseife zu der er ein blütenweißes, hinten zuknöpfbares Apothekermäntelchen trägt. Die Zeit in seinem Laden vergeht langsam: H., im Beruf behutsam gealtert, bewegt sich im Schneckentempo synchron zum Minutenzeiger der sekundenlosen Kienzle-Automatic-Wanduhr. Man muss viel Zeit anlegen, aber die Arzneidrogen die hier gekauft werden wirken besser. Allein der Aufenthalt im Seelenknusperhäuschen wirkt antiseptisch, senkt den Blutdruck und beruhigt die Nerven. Ich bin sicher: H. stösselt die Zutaten seiner Salben und Mixturen linksdrehend in den uralten Mörsern seiner heilpflanzenkundigen Vorfahren und hört dabei Chopin Klavieretüden. Neben der mechanischen Seca-Personenwaage am Eingang lädt ein klassischer Ledersessel zu weiterem Verweil ein. Vielleicht lutsche ich noch ein Pfefferminzdrops, blättere in der Rentnerbravo und beobachte heimlich den etwas bucklig gewordenen H., wie er seine Stahlgestellbrille auf die Nasenspitze schiebt, mit Bleistift Karteikarten beschriftet und in sein Rolodex einpflegt.